Viele Dinge sind in Deutschland genormt und so gibt es auch für barrierefreie Wohnungen eine Norm – die DIN 18040-2. Warum barrierefrei nicht frei von Barrieren heißt und auch nicht überall in Deutschland dasselbe bedeutet, erfährst Du in diesem Beitrag.
Eine Norm wird üblicherweise aufgestellt, um bestimmte Sachverhalte zu vereinheitlichen. Das wurde mit der Normenreihe DIN 18040 so auch für den Bereich des barrierefreien Bauens angestoßen. Im zweiten Teil, der DIN 18040-2, wurden die Planungsgrundlagen für Wohnungen sowie Gebäude mit Wohnungen zusammengefasst. Doch zwischen Vereinheitlichung und einheitlicher Anwendung können Welten liegen.
Eine deutsche Norm, die nicht überall in Deutschland gilt
Eine Norm ist kein Gesetz. Vielleicht ist diese Info neu für Dich, denn Normen werden oft als verpflichtend und unumstößlich angesehen. Sie besitzen jedoch eher den Charakter einer Empfehlung. Damit eine Norm verbindlich umgesetzt wird, muss sie entweder gesetzlich eingeführt oder vertraglich vereinbart werden.
Die gesetzgeberische Kompetenz fürs Bauen liegt in Deutschland bei den Bundesländern. Dementsprechend ist auch die Einführung der DIN 18040-2 Ländersache. Und hier beginnt das Problem, denn wie so oft kocht jedes Bundesland sein eigenes barrierefreies Süppchen.
In den meisten Bundesländern ist die 18040-2 grundsätzlich als sogenannte Technische Baubestimmung eingeführt. Das heißt ihre Einhaltung ist verpflichtend. Einzelne Bestimmungen der Norm sind dabei in einigen Ländern nicht eingeführt oder konkretisiert worden.
Eine Ausnahme bildet zum Beispiel das Land Berlin. Hier ist seit 01. Januar 2020 die Verordnung über bauliche Anforderungen an barrierefreies Wohnen (Barrierefreies Wohnen Verordnung Berlin) in Kraft. Statt der DIN 18040-2 regelt also diese Verordnung, wie barrierefreie Wohnungen in Berlin zu bauen sind.
Das kann zu Sitationen führen, die mit einer einheitlichen Norm ursprünglich vermieden werden sollten. Eine Wohnung, die in Berlin barrierefrei gebaut wurde, kann zum Beispiel wenige Meter weiter nach Brandenburgischem Baurecht explizit nicht barrierefrei sein. Im Großen und Ganzen stimmen die Regelungen zwar überein, in Detail-Fragen kann die Lage der Wohnung aber ausschlaggebend sein.
Und was steht jetzt drin in dieser Norm?
Der wesentliche Inhalt von der DIN 18040-2 ist, wie bei den anderen Teilen der Reihe auch, die Definition von sogenannten Schutzzielen. Das sind jene Zustände, die mit Hilfe von barrierefreien Lösungen erreicht werden sollen. Für Türen lautet das Schutzziel zum Beispiel:
Türen müssen deutlich wahrnehmbar, leicht zu öffnen und schließen und sicher zu passieren sein.
DIN 18040-2 Abschnitt 4.3.3.1
Für nahezu alle Bauteile und Bereiche, die es in einer Wohnung gibt, sind solche Schutzziele definiert. Im Anschluss daran werden jeweils mit Hilfe von Tabellen und Zeichnungen genaue Werte und Ausführungen vorgegeben. Bei Türen sind das zum Beispiel eine Breite von ≥ 90 cm und eine Höhe von ≥ 205 cm.
Davon kann abgewichen werden, wenn das Schutzziel auch auf anderem Wege erreicht wird. Maßgeblich sind somit immer die bewusst offen formulierten Schutzziele.
Barrierefrei ist nicht gleich barrierefrei
Den Punkt, den ich bei der DIN 18040-2 am schwierigsten finde, ist die Unterscheidung in „barrierefrei nutzbare“ sowie „barrierefrei und uneingeschränkt mit dem Rollstuhl nutzbare“ Wohnungen. Eine Wohnung, die entsprechend der DIN barrierefrei gebaut wurde, kann also unter Umständen für Rollstuhlnutzende immer noch deutliche Barrieren aufweisen.
Und selbst die Formulierung „uneingeschränkt mit dem Rollstuhl“ beinhaltet eine versteckte Einschränkung im Kleingedruckten. Grundlage sind nämlich die Abmessungen von Standardrollstühlen (Breite bis 70 cm und Länge bis 120 cm). Je nach Bauart oder Anpassung von Nutzendenseite können Rollstühle deutlich größer sein.
Die oben aufgeführten Türmaße sind für eine „uneingeschränkt mit dem Rollstuhl nutzbare Wohnung“ verpflichtend. Für eine nach DIN 18040-2 barrierefreie Wohnung wäre eine Türbreite von 80 cm ausreichend. Sie müsste außerdem keine Bewegungsflächen vor und hinter den Türen aufweisen. Die Navigation durch eine solche Wohnung wäre mit einem Rollstuhl gar nicht oder nur schwer möglich. Barrierefrei sieht meiner Meinung nach anders aus.
Dennoch gut, dass es diese Norm gibt
Perfekt ist die DIN 18040-2 aus meiner Sicht nicht. Dennoch können wir uns in Deutschland glücklich schätzen, ein solches Regelwerk als Grundlage zu haben. Im Vergleich zu anderen Ländern sind deutlich mehr Bereiche abgedeckt. Die Formulierung von Schutzzielen bietet eine gute Möglichkeit, die unterschiedlichen Bedürfnisse von Nutzenden und Planenden zu vereinen.
Für eine gute, wirklich barrierefreie Planung ist allerdings mehr als die Kenntnis der Norm nötig. Viele Dinge, die im alltäglichen Leben relevant sind und dieses komfortabel gestalten, sind in den Regelungen gar nicht erfasst. Dafür sind Erfahrungen und Gespräche mit den Menschen nötig, die auf Barrierefreiheit angewiesen sind. Davon profitieren dann schlussendliche alle.
Derzeit laufen die Verhandlungen für eine Europäische Norm zum Barrierefreien Bauen. Verglichen mit der jetzigen DIN stellt der aktuell finale Entwurf einen Rückschritt dar. Welche Auswirkungen die Einführung dieser neuen europäischen Norm tatsächlich haben werden, wird sich erst in einigen Jahren zeigen.
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