Barrieren für Autist_innen in der Kommunikation

“Es wäre einfacher zu berichten, wo Autist_innen nicht auf Barrieren stoßen.”

Diese Nachricht erhielt ich als eine der ersten, als ich vergangene Woche auf Twitter nach Barrieren im Zusammenhang mit Autismus fragte. Dahinter verbirgt sich natürlich die Aussage: Barrieren sind überall vorhanden. Im heutigen Betrag beschränke ich mich auf die Barrieren in der Kommunikation.

Alle Punkte die ich hier aufführe, wurden mir von Autist_innen mitgegeben. Mit Jasmin habe ich ein längeres Gespräch geführt, das Du am kommenden Sonntag im Podcast hören kannst. Sie ist Autistin und beschreibt Autismus wie folgt:

Autismus ist, auch wenn viele sagen es sei eine Krankheit, eine Behinderung. Es ist, wie ich es gern sage, ein anderes Betriebssystem des Gehirns. Also man hat Menschen, die weitestgehend als neurotypisch gelten; die eine ’normale‘ Struktur des Denkens, der Wahrnehmung und der Reizfilter haben.

Und dann gibt es Leute wie Autist_innen, Menschen mit ADHS oder anderen Sachen, die eine andere Gehirnstruktur haben; eine andere Struktur der Reizwahrnehmung, -filterung und -verarbeitung. In diesen Bereich fallen auch Autist_innen. Das ist eine Behinderung dadurch, dass es uns eine Teilhabe am Leben, wie es Neurotypen vorgeben, erschwert.

Jasmin Subklewe

Vorurteile und Berührungsängste

Gerade in der Kommunikation zwischen autistischen und neurotypischen Menschen kann es daher häufig zu Barrieren kommen. Die verschiedenen “Betriebssysteme” sind nicht immer kompatibel. Das kann zu Vorurteilen führen, wie sie Fen auf Twitter beschreibt:

Vorurteile sind immer noch die größte Barriere. Zum Beispiel mein Chef, der mir keine Führungsposition zurück gibt, (…) weil Autisten ’nicht als Führungskraft geeignet sind‘.

Fen

Und auch Philip kennt solche Vorurteile. Er ist unterstützt kommunizierender Autist und hat mir seine Erfahrungen geschildert.

Ich kommuniziere überwiegend schriftlich beziehungsweise unterstützt über die Verwendung von verschiedenen Kommunikationskarten, Gesten und vor allem über eine dynamische Kommunikationshilfe, einem sogenannten Talker, ein Sprachcomputer mit speziellen Programmen zur Kommunikation.

Ich nutze je nach Situation unterschiedliche Schrift als auch symbolbasierte Programme. Und weil meine Muttersprache nicht deutsch ist, teils welche die 2 Sprachen ausgeben können. Hierbei handelt es sich um ein angepasstes und essentielles Hilfsmittel, das erkennen einige jedoch nicht an, oder mir wird die Nutzung untersagt. Damit wird mir dann jedoch die Stimme genommen.

Viele Menschen denken aufgrund der unterstützten Kommunikation, dass ich eine kognitive Behinderung habe, was nicht der Fall ist, und behandeln mich entsprechend anders. Ich werde dann wie ein Kind behandelt, situationsunangemessen geduzt, nicht ernst genommen und anderes mehr. Da ich bei vielen Terminen meist in Begleitung einer persönlichen Assistenz bin, werde ich dann auch bei einfachsten Fragen nicht direkt angesprochen, teils behandelt, als ob ich gar nicht da wäre. Außerdem gehen viele automatisch davon aus, dass ich eine gesetzliche Betreuung habe, was nicht der Fall ist. Oder setzen die Assistenz damit gleich, was zu weiteren Problemen, zum Beispiel bezüglich der Schweigepflicht führt und vieles mehr.

Philip

Philip sagt auch, dass unterstütze Kommunikation vor allem Geduld und Zeit braucht – etwas, das ihm selten zugestanden wird. Ein Problem ist dabei oft auch die Unwissenheit von anderen Menschen, wie sie sich in einer solchen Situation verhalten sollen.

Meist bin ich der erste, unterstützt kommunizierende Autist und es bestehen Berührungsängste. Offenkundig führt dies teils dazu, dass andere sich nicht trauen, nachzufragen, wenn sie etwas nicht verstanden haben, was dann zu weiteren Missverständnissen mit teils schwerwiegenden Konsequenzen führen kann.

Manche Menschen versuchen mitzulesen, wenn ich den Talker bediene und greifen oft ungeduldig vor und vollenden die Gesetze mundsprachlich. Häufig will ich aber etwas ganz anderes sagen. Sie kommen mir teils auch viel zu nah, versuchen mir zum Beispiel über die Schulter zu sehen. Manche sprechen einfach weiter, während ich noch meine Antwort formuliere. Das ist nicht nur schlichtweg unhöflich, sondern lenkt mich extrem ab.

Wenn ich alleine unterwegs bin, werde ich oftmals nicht bedient. Oder man möchte mich nicht bei Terminen oder Veranstaltungen dabei haben, ohne mich überhaupt vorher kennengelernt zu haben. Es ist nicht möglich, überall eine der Assistenten dabei zu haben, schon aus Kostengründen nicht und familiäre oder ehrenamtliche Hilfe habe ich nicht.

Philip

Barrieren in der Online-Kommunikation

Auch in der digitalen Kommunikation gibt es weit verbreitete Barrieren. Über Twitter schrieb mir June einiges zum Thema und spricht dabei vor allem Video- und Audiokonferenzen mit mehreren Teilnehmenden an, wie sie seit Corona unseren Alltag prägen.

(…) irgendwie haben neurotypische Menschen oft diesen Gedanken, dass es mündlich einfach „schneller geht“ und „sich angucken/hören“ ganz dringend für Meta-Informationen wichtig ist. Meta-Informationen, die ich weder in konformer Weise senden, noch verarbeiten kann.

June

Um bei solchen Konferenzen mit mehr als drei Teilnehmenden überhaupt dabei sein zu können, benötigt June einige Rahmenbedingungen. Dazu gehören:

  • die Möglichkeit, zur Not nur schreibend teilzunehmen
  • mindestens eine Woche Vorlauf, sich mental vorzubereiten und löffelfressende Dinge auf die Tage davor zu schieben (siehe Spoon-Theorie als Modell des Energiehaushalts behinderter & chronisch kranker Menschen)
  • mehrere Tage Nichtsplanen zur Erholung
  • einen genau umrissenen Zeitrahmen, in dem man möglichst fertig werden sollte
  • möglichst wenig Abdriften/Smalltalk

Doch selbst wenn diese Punkte berücksichtigt werden, ist die Teilnahme für June nicht ohne Probleme möglich. Mehr dazu findest Du in der ungekürzten Nachricht weiter unten.

Barrieren sind überall vorhanden

Mich haben noch unzählige weitere Nachrichten zu diesem Thema erreicht. Ein Punkt, der dabei immer wieder aufkam, sind Barrieren in Bezug auf die Sinnenswahrnehmung. Jasmin erwähnte die „andere Struktur der Reizwahrnehmung, -filterung und -verarbeitung“ für Autist_innen, die in alltäglichen Situationen zu immensen Problemen führen kann. In der Podcast-Episode am kommenden Sonntag erzählt sie ein wenig mehr darüber.

Hast Du eigene Erfahrungen, die Du mit mir und anderen Teilen möchtest? Oder hast Du eine Frage zum Thema Barrierefreiheit bei Autismus? Nutze gern die Kommentarfunktion am Ende der Seite, um mit mir ins Gespräch zu kommen.


Mehr von June

June hat auf meinen Aufruf ein paar Statements aus eigenen Twitter-Threads zusammengetragen. Was rhei sagt finde ich unglaublich wichtig. Daher findest Du die gesamte Nachricht hier ungekürzt.

1. Diagnose – Autismus, Erwachsene, Österreich

Ich habe gegoogelt, wo es in meinem Bundesland Autismus-Diagnostik für Erwachsene gibt. Oder zumindest habe ich es versucht. Die Seiten sind unübersichtlich und es geht um die Belastung für Angehörige, die bei „Zielgruppe“ an erster Stelle stehen und für die es Selbsthilfegruppen gibt. Bei den Informationen steht explizit, dass man auch Angehörige / Eltern in diesen Gruppen dabei haben will. Und bei den ergoogelten lokalen Broschüren wird mir erst recht anders. Eine Frage, die dort recht prominent auftaucht, ist beispielsweise: „Ist Autismus heilbar?“ Antwort: „Leider nicht.“ Sehr wahrscheinlich stammt das PDF von der einzigen Stelle, wo ich vielleicht Hilfe kriege (falls ich es schaffe, mich durch die Seite zu navigieren. Zum Zeitpunkt des Verfassens ist das nicht der Fall, weil die Homepage zwar für einige Bedürfnisse barrierearm aufgebaut wurde – man kann sie sich vorlesen lassen – für andere jedoch nicht. Ich finde mich nicht zurecht und klicke entweder im Kreis oder lande auf 404-Fehlerseiten).

Man merkt, für wen das geschrieben wurde und für wen nicht. Ja, ich sehe natürlich, dass überforderte Eltern und andere Bezugspersonen eine wichtige Zielgruppe mit ihren eigenen Bedürfnissen sind und gerade bei kleinen Kindern geht es ja auch gar nicht anders als über die Eltern. Aber mir fehlen komplett Angebote, die sich ausschließlich und gezielt an Erwachsene richten, die nach Antworten auf ihre Fragen suchen. Mir fehlen Webseiten, in denen nicht ausschließlich Autismus bei (Klein-)Kindern beschrieben wird und auf denen die Beschreibungen sich nicht ausschließlich darauf fokussieren, was den Kindern „fehlt“, sondern Webseiten, die sich gezielt an erwachsene Menschen richten und sagen: „Hier bekommst du selbstbestimmt Hilfe, hier kannst du dir Fragen beantworten (lassen) und dort kannst du dich diagnostizieren lassen.“ Wenn sich Angebote ausnahmsweise an Erwachsene richten, dann ausschließlich im Kontext „Wenn Sie die Assistenzperson/gesetzliche Vormundsperson eines autistischen Menschen sind …“ Ob ich auf diese Weise mit 30+ überhaupt noch an eine Diagnose komme, weiß ich nicht.

2. Schulisches / Universitäteres Umfeld und Evaluationen

Ich habe ein abgebrochenes Lehramtsstudium hinter mir, bei dem ich ein Problem mit einer bestimmten Art von Frage hatte. Die lautete so: „Was hat diese pädagogische Aufgabe in dir ausgelöst?“ Es war eine Aufgabe, die ich machen musste, weil das halt dazugehört, weil es in diesem Moment von mir verlangt wurde und ich mich in einer Unterrichtssituation befunden habe, in der von mir erwartet wurde, diese Aufgabe zu lösen. Ich habe aber keinerlei Meta-Emotionen in Bezug auf diese Aufgabe. Oder zumindest nicht die, die (so hatte ich das Gefühl) man als Antwort hören wollte. Ich kann bis heute mit „Was fühlst du?“-Fragen in Bezug auf Verpflichtungen nichts anfangen. Es war eine Verpflichtung, ich habe sie erfüllt, weil ich sonst keine Note bekommen hätte, ohne persönliches Attachment. Eine unlösbare – oder, schlimmer noch, nur durch eine Lüge lösbare – Aufgabe oder Frage ist für mich eine quälende Hürde. Ich muss dann immer rückübersetzen, was eigentlich für eine Antwort erwartet wird, was man mit dieser Aufgabe wahrscheinlich für eine emotionale Antwort erwartet hat und dies dann für mich abgleichen. Beispielsweise hat man uns eine fiktive Arbeit zum Bewerten gegeben und uns danach gefragt, wie wir uns gefühlt haben. Die genannten Antworten waren beispielsweise „Überforderung durch die Verantwortung, da potentiell das Leben eines Jugendlichen durch die Note beeinflussen zu können“.

Vielleicht fehlt mir – und Leuten, die ebenfalls damit Probleme haben – an dieser Stelle die Immersion. Mir war zu jeder Sekunde bewusst, dass es sich um ein fingiertes, fiktives Dokument handelt, das keinerlei Einfluss auf reale Personen und deren Werdegang hat (und wo ich folglich auch Fehler machen darf, ohne dass dadurch etwas Schlimmes passiert). Aber „Ich fühlte mich in einer fehlerfreundlichen Umgebung und freute mich darauf, dass man mir beibringt, wie man richtig korrigiert“ ist nicht die gewünschte Antwort. „Ich bin genervt, dass wir als erwachsene Menschen über zwanzig aktiviert und motiviert werden sollen, während ich einfach nur den verdammten Stoff ohne Methodengedöns lernen will“ ebensowenig. Leute, die ähnlich denken und fühlen wie ich, müssen also in bestimmten Unterrichtsszenarien masken und versuchen, zu erraten, was für eine Antwort die oftmals neurotypischen Dozierenden hören wollen, am besten gleich inklusive, wie dabei der Tonfall zu klingen hat. Sie müssen dabei außerdem einen Overload zumindest irgendwie überspielen, der durch das Horrorszenario „Unlösbare Aufgabe + Lüge“ zwangsläufig früher oder später eintritt.

3. Aktivismus – vor allem online, unter anderem in (queer)feministischen Spaces

Auch wenn sich mein Aktivismus ausschließlich online abspielt, ist mein Selbstverständnis bei allem, was ich tue, ein aktivistisches. Immer schon gewesen. Durch die Pandemie wird dies immerhin insofern begünstigt, dass alles andere ohnehin nicht zur Verfügung steht, aber dennoch bestehen Leute immer wieder auf einer Gruppenvideo/Audiokonferenz. Für mich sind solche Konferenzen, vor allem mit mehreren Leuten, nur unter sehr engen Rahmenbedingungen schaffbar. Sobald mehr als drei Personen teilnehmen, brauche ich:

  • die Möglichkeit, zur Not nur schreibend teilzunehmen
  • mindestens eine Woche Vorlauf, um mich mental vorzubereiten und löffelfressende Dinge auf die Tage davor zu schieben
  • mehrere Tage Nichtsplanen zur Erholung
  • einen genau umrissenen Zeitrahmen, in dem man möglichst fertig werden sollte
  • möglichst wenig Abdriften/Smalltalk

Das bedeutet nicht, dass ich dann vorbehaltslos teilnehmen kann. Es bedeutet nur, wenn sowohl die Organisation als auch ich die besten Bedingungen schaffen, kann ich eine Telefonkonferenz jeglicher Art mit möglichst wenig Schaden für mein Wohlbefinden irgendwie überstehen. Was bleibt, ist jedoch: Ich kann mich nicht gleichzeitig auf die Turns (wann bin ich dran), auf das Gesagte aller anderen Leute, aufs Masking (falls Video verpflichtend ist) und auf meine eigenen Inhalte konzentrieren.

Das führt beispielsweise zu dem Paradoxon, dass ich am Ende ohne schriftliche Aufzeichnungen andere Personen fragen muss, was ich eigentlich gesagt habe. Vor lauter Konzentration auf andere Dinge weiß ich das nämlich oft nicht mehr. Ich weiß auch nicht immer im Detail, was andere gesagt haben, da ich mit fortschreitender Länge nur noch auf Schlagworte reagieren kann, der Rest kommt nicht mehr im Verstand an. Also brauche ich mit ein paar Stunden Mindestabstand ein Gespräch über das Gespräch, um daraus was mitnehmen zu können.

Mit einem konstruktiven Chat-Date („Wir treffen uns um Uhrzeit x und schreiben alle im Chat unsere Gedanken on-topic“) könnte man das minimieren, aber irgendwie haben neurotypische Menschen oft diesen Gedanken, dass es mündlich einfach „schneller geht“ und „sich angucken/hören“ ganz dringend für Meta-Informationen wichtig ist. Meta-Informationen, die ich weder in konformer Weise senden, noch verarbeiten kann. Immerhin lassen sich manche Spaces darauf ein. Oft jedoch höre ich, dass man sich dann eben ohne mich treffen muss – weil ich Sonderwünsche habe. Das tut weh.

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